Figurine

2 02 2010

Sauerland, Karol. „Figurinen und Figurinenhaftes bei Oskar Schlemmer und Iwan Gnoll“. In: Drama und Theater der Jahrhundertwende. Dieter Kafitz (Hg.). Tübingen: Francke. 1991, 139-150

[Thomas Bitterlich, Leipzig] Karol Sauerland setzt sich mit einer besonderen Variante von Theaterfiguren im 20. Jahrhundert auseinander, die im Umfeld der Futuristen bzw. der abstrakten Kunst entstanden. In der polnischen Oper „Sieg über die Sonne“ (1913) von Aleksej Krutschonych (Libretto) und Michael W. Matjuschin (Musik) erinnere eine Gestalt an einen Kosmonauten, dem jedoch in seinem blau-schwarz-gelben, vom Kubismus geprägten Kostüm individuelle Züge fehlen würden. Es entstehe der Eindruck eines künstlichen, mechanischen Wesens.

Der Begriff „Figurine“ wird hier in Anspielung auf die festgelegten Masken der Commedia dell’arte verwendet, zu denen es (nicht näher ausgeführte) Ähnlichkeiten gäbe. „Moderne Figurinen“ seien jedoch im Vergleich zu jenen nicht sofort identifizierbar. Im Gegenteil, den Künstlern ginge es eher um eine Distanzierung vom Leben durch die Betonung der Künstlichkeit des Dargestellten. Dafür ließen sich verschiedene Mittel feststellen. Von Kandindsky beeinflusst, würden die Figurinen durch verschiedene Farben gekennzeichnet. Sie werden in sich verändernde Konstellationen (meist Tänze) zueinander gestellt und auch ins Verhältnis zum ebenfalls farbigen Bühnenraum gesetzt. Oskar Schlemmer würde im Unterschied dazu geometrische Formen sowohl bei der Gestaltung von Kostümen als auch bei der Choreographie des Bühnengeschehens verwenden.

Laut Sauerland ist die dominierende Rolle des Kostüms ein wesentliches Kennzeichen dieser Theaterfiguren, die er als „moderne Figurinen“ kategorisiert. Die strengen geometrischen Formen zwängen die Tänzer zu bestimmten Bewegungen und verhinderten andere. Nach Schlemmer dient diese Beschränkung des Tänzers der Erkundung äußerer Einflüsse auf den Körper, wie bei einem medizinischen Experiment, das die einseitige Belastung von Gliedmaßen testet. Zugleich würden sich neue Bewegungsformen und künstlerische Ausdrucksmöglichkeiten ergeben. Bei einigen Aufführungen wurden nur Teile der Figurinen sichtbar, so dass z.B. der Eindruck von sich bewegenden Quadern entstand. Schließlich verband Oskar Schlemmer mit der Erprobung und Durchführung dieser Aufführungen die Hoffnung, dass durch die Beschränkung die Grenzen des menschlich Möglichen aufgebrochen und Freiheit hinzugewonnen würde.